Behindertentestament
Bei Eltern eines behinderten Kindes ist die Sorge um die Absicherung des behinderten Kindes nach deren Tod der Eltern häufig groß. Die Eltern möchten zu Lebzeiten sicherstellen, dass das Kind weiterhin angemessen versorgt und finanziell abgesichert ist. Dies kann mit dem Behindertentestament erreicht werden. Mit dem sog. „Behindertentestament“werden in der juristischen Praxis zwei Ziele verfolgt:
- Hauptsächliches Ziel ist es, den Lebensstandard des behinderten Kindes über den Tod der Eltern hinaus dauerhaft über das sonst übliche Sozialhilfeniveau zu sichern.
- Des Weiteren soll der Zugriff des Sozialhilfeträgers auf das vom behinderten Kind ererbte elterliche Vermögen verhindert werden.
Grundsätzlich erhalten Behinderte, die nicht in der Lage sind, durch den Einsatz eigenen Vermögens oder eigener Erwerbstätigkeit ihren Lebensunterhalt zu bestreiten, Leistungen nach dem Sozialhilferecht. Sollte der Behinderte somit ererbtes Vermögen haben, welches nicht vor dem Zugriff des Sozialhilfeträgers geschützt ist, wäre dieses ererbte Vermögen vorrangig in Anspruch zu nehmen und der Sozialhilfeträger hätte Zugriff darauf. Das ererbte Vermögen wäre aufgrund des Nachrangs der Sozialhilfe gemäß § 2 I, 90 I SGB XII, 9 I SGB II für den Unterhalt des behinderten Kindes einzusetzen. Unter Umständen wären auch ererbte Immobilien zu verwerten. Dieser sog. Sozialhilferegressführt im Ergebnis dazu, dass dem behinderten Kind das ererbte Vermögen nicht verbleiben würde, um einen Lebensstandard zu finanzieren, der über dem Mindestbedarf liegt. Dieser reicht gerade für den notwendigsten Lebensbedarf.
Besorgten Eltern ist daher zu raten, bereits frühzeitig die Weichen so zu stellen, dass das Vermögen vor dem Zugriff des Sozialhilfeträgers geschützt wird und das ererbte Vermögen zur Sicherung der Lebensqualität des behinderten Kindes eingesetzt werden kann. Ein weiterer Aspekt ist, dass bei Vorhandensein von mehreren Kindern, zu deren Gunsten verhindert werden sollte, dass beim Ableben des behinderten Kindes der Sozialhilfeträger Zugriff auf dessen Vermögen bekommt und somit das Familienvermögen dorthin fließt.
Nach nunmehr gefestigter Rechtsprechung des Bundesgerichtshofs (vgl. zuletzt BGH, Beschluss vom 24.07.2019 AZ: XII ZB 560/18) können die oben genannten Ziele durch das „Behindertentestament“ erreicht werden.
Nacherbschaftslösung
Die klassische und meist favorisierte Form des Behindertentestaments ist die sog. Nacherbschaftslösung mit folgenden Elementen:
- Das behinderte Kind wird als nichtbefreiter Vorerbe eingesetzt mit einem Erbteil, der seinen Pflichtteilsanspruch zumindest leicht übersteigt.
- Als Nacherben können der länger lebende Elternteil und/oder/ersatzweise die weiteren Geschwister eingesetzt werden.
- Weiterhin wird Dauertestamentsvollstreckung angeordnet und ein Testamentsvollstrecker eingesetzt.
- Etablierung von Verwaltungsanweisungen an den Testamentsvollstrecker zur Nutzung des Vermögens zugunsten des behinderten Kindes, die den Zugriff des Sozialhilfeträgers ausschließen und vermeiden.
Nachteil der Nacherbschaftslösung ist, dass eine Erbengemeinschaft mit dem behinderten Kind entsteht, wodurch die Abwicklung und Verwaltung des Nachlasses erschwert werden kann. Problematisch wird dies insbesondere in den Fällen, in denen das behinderte Kind geschäftsunfähig ist. In solchen Fällen könnte sich die sog. Vermächtnislösung anbieten.
1. Nacherbfolge
Bei der Nacherbschaftslösung wird das behinderte Kind als Vorerbe gemäße § 2100 BGB eingesetzt. Das heißt, dass das behinderte Kind bereits beim ersten Erbfall (Versterben des ersten Elternteils) eine Beteiligung am Nachlass erhält. Als Nacherben werden der länger lebende Elternteil oder die sonstigen Abkömmlingen eingesetzt.
Durch die Erbeinsetzung des behinderten Kindes im ersten Erbfall wird vermieden, dass in seiner Person ein Pflichtteilsanspruch entsteht, der dem Zugriff des Sozialhilfeträgers ausgesetzt wäre. Die Erbquote des behinderten Kindes sollte zumindest leicht über der Pflichtteilsquote liegen. Aus Gründen der Gleichbehandlung kann sie aber auch durchaus höher angesetzt werden. Würde diese unterhalb der gesetzlich vorgeschriebenen Pflichtteilsquote liegen, entstünde ein Anspruch auf den Zusatzpflichtteil gemäß § 2305 BGB, der dem Zugriff des Sozialhilfeträgers ausgesetzt wäre.
Das behinderte Kind wird als nicht befreiter Vorerbe eingesetzt, da der Sozialhilfeträger bei einer befreiten Vorerbschaft bedarfsabhängige Leistungen verweigern / kürzen kann unter Verweis darauf, dass das behinderte Kind in einem solchen Fall zunächst den ererbten Nachlass verbrauchen könnte, um seinen Lebensunterhalt zu bestreiten.
2. Dauertestamentsvollstreckung
Ein weiteres zentrales Werkzeug des Behindertentestaments ist die Anordnung einer Dauertestamentsvollstreckung mit einer Verwaltungsanordnung. Durch diese wird die Verfügungsbefugnis des behinderten Kindes über den Nachlass sowie der Zugriff von Gläubigern auf Lebenszeit ausgeschlossen. Es wird sozialhilfebedürftigen Kindern eine Verfügungsbeschränkung auferlegt, die das ererbte Vermögen unverwertbar macht. Es wird somit Vermögen geschaffen, dass dem Zugriff des Sozialhilfeträgers entzogen ist.
Ergänzend zur Dauertestamentsvollstreckung tritt eine umfassende Verwaltungsanweisung hinzu, die die Verwendung der Erträge im Sinne des behinderten Kindes sicherstellt und einen Zugriff des Sozialhilfeträgers vermeidet. Dies wird dadurch erreicht, dass die Verwaltungsanordnung so ausgestaltet wird, dass die Erträge des Nachlasses dem behinderten Kind nur zum Zwecke der Steigerung seiner Lebensqualität zugewandt werden können. Diesbezüglich wird geregelt, dass die Erträge nur insoweit zugewandt werden, als eine teilweise Entziehung oder Versagung von Sozialhilfeleistungen vermieden wird.
Der Testamentsvollstrecker kann angewiesen werden, auch die Substanz des Erbteils des Behinderten zu verwenden, falls die Erträge nicht ausreichen, um entsprechende Zuwendungen an das behinderte Kind erbringen zu können.
Im Hinblick darauf, dass der zu ernennende Testamentsvollstrecker möglicherweise über viele Jahre hinweg die Interessen des behinderten Kindes vertreten und wahrnehmen muss, empfiehlt es sich eine nahestehende Person zu wählen.
3. Teilungsanordnung
Je nach Zusammensetzung des Nachlasses, kann auch eine Teilungsanordnung empfehlenswert sein, wonach die Auseinandersetzung unter den Miterben nach billigem Ermessen des Testamentsvollstreckers erfolgen soll oder mit welcher dem Behinderten bei der Auseinandersetzung auf seinen Erbteil bestimmte Gegenstände zugeteilt werden, um den Nachlass in Bezug auf die anderen Gegenstände leichter auseinandersetzen zu können.
Es sind noch weitere flankierende Regelungen, wie ergänzende Auflagen oder bedingte Vorausvermächtnisse denkbar und sollten im Einzelfall genau geprüft werden.
Herr Rechtsanwalt Jürgen Wöhrle aus Bad Kreuznach, der unter Anderem den Fachanwaltslehrgang für Erbrecht erfolgreich absolviert hat, steht Ihnen bei Fragen rund um das Behindertentestament gerne zur Verfügung und berät Sie umfassend und mit der notwendigen Expertise.
Gerne können Sie uns unter der Nummer 0671/2983260 telefonisch kontaktieren. Sie erreichen Herrn Rechtsanwalt Wöhrle auch direkt per E-Mail (woehrle@ws-anwaelte.de). Gerne empfangen wir Sie zu einem persönlichen Beratungsgespräch in unseren Kanzleiräumen in Bad Kreuznach oder Mainz.